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LG Frankfurt: NetzDG nicht auf den Messenger-Dienst von Facebook anwendbar

Posted in Allgemein, Datenschutz, Internetrecht, Persönlichkeitsschutz, and Presserecht

LG Frankfurt am Main, Beschluss vom 30.04.2018 – 2-03 O 430/17

Zur Anwendbarkeit des NetzDG auf Messenger-Dienste

Rechtsgrundlagen: § 1 NetzDG, § 14 TMG

Leitsatz:

  1.  Der Anwendungsbereich des NetzDG in § 1 Abs. 1 NetzDG ist unklar und daher auslegungsbedürftig.
  1. Persönlichkeitsrechtsverletzungen, die unter Verwendung des Facebook-Messenger nicht öffentlich zwischen nur zwei Personen erfolgt sind, fallen nicht in den Anwendungsbereich von § 1 Abs. 1 Netz DG.

 Tenor:

Der Antrag vom 14.12.2017 auf Erlass einer Anordnung gemäß § 14 Abs. 3 TMG wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Der Gegenstandswert wird auf € 3.000,- festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin begehrt die Gestattung einer Auskunft über Daten von Nutzern der Beteiligten.

Die Beteiligte betreibt die Webseite www.facebook.com und den zugehörigen Facebook-Dienst. Ferner betreibt die Beteiligte den Facebook-„Messenger“, der es Nutzern ermöglicht, Nachrichten an bestimmte Personen oder bestimmte Gruppen von Personen zu schicken. Für die Nutzung des „Messengers“ ist eine Anmeldung bei der Beteiligten erforderlich. Einerseits können alle angemeldeten Facebook-Nutzer den „Messenger“ benutzen. Der Messenger kann darüber hinaus auch von Nutzern genutzt werden, die nicht über einen Facebook-Account verfügen, sondern sich lediglich mit einer Handynummer und ihrem Namen anmelden. Auch Nutzer, die sich lediglich mit ihrer Handynummer anmelden, können mit anderen angemeldeten Nutzern in Kontakt treten. Die Beteiligte verweist insoweit auf die Webseite https://newsroom.fb.com/news/2015/06/sign-up-for-messenger-without-a-facebook-account/, auf der es u.a. heißt:

„Sign Up for Messenger, Without a Facebook Account

With Messenger, we’ve been focused on creating the best messaging experience possible by giving people a fun and easy way to connect and express themselves with friends and contacts. If you’re in Canada, the United States, Peru or Venezuela, we are starting to roll out a new way for you to sign up for Messenger – without a Facebook account.

With this update, more people can enjoy all the features that are available on Messenger – including photos, videos, group chats, voice and video calling, stickers and more. All you need is a phone number.

Here’s how it works:

On the Messenger welcome screen, you will now see an option that says „Not on Facebook?“

From there, you can sign up with your name, phone number and a photo.

For those who have Facebook accounts, there are many benefits to using your Facebook credentials when signing up for Messenger. People can easily message with their Facebook friends and contacts, access their Facebook messages and take advantage of multi-device messaging across mobile devices, the web and tablets.“

Über diesen „Messenger“ wurden ab dem 16.08.2017 verschiedene Nachrichten versandt, darunter ein Video sowie zwei Sprachnachrichten in afghanischer Sprache. Gerichtet waren diese an Freunde und Familienangehörige der Antragstellerin. Für den Inhalt wird auf Anlage AS 1, Bl. 16 ff. d.A., verwiesen. Darin wird die Antragstellerin unter anderem als „größte schlampe“ und „Schandfleck für die Familie“ bezeichnet. Weiter wurde ein Video, das die Antragstellerin zeigt, mit einem Foto einer ausgedruckten E-Mail, die angeblich von der Antragstellerin stammt, versandt (Anlage AS 2, Bl. 22 d.A.). Absender waren die Nutzer mit den Nutzernamen „…“, „…“ und „…“, wobei die ersten beiden Accounts nach dem Senden der Nachrichten deaktiviert wurden. Die Nachrichten waren unter https://www.facebook.com/messages/requests/t/100021503709510 abrufbar.

Die Antragstellerin wandte sich an das Beschwerdemanagement der Beteiligten, auf Anlage AS 3, Bl. 23 ff. d.A., wird verwiesen.

Auf der Webseite der Beteiligten heißt es u.a. (https://de-de.facebook.com/help/1561485474074139):

„Was sind Facebook-Dienste?

Facebook bietet eine Vielzahl an Produkten und Diensten, einschließlich Kommunikations- und Werbeplattformen. Viele dieser Produkte und Dienste – z. B. die mobile Facebook-App, Messenger und Paper – sind Teil des Facebook-Benutzererlebnisses. Andere Dienste wie Slingshot, Rooms oder die Internet.org-App bieten unabhängigere Erlebnisse (z. B. musst du dich dort möglicherweise nicht mit deinem Facebook-Konto registrieren oder anmelden). Bestimmte Dienste wie die Seitenmanager-App oder Audience Insights sind Produkte, die wir unseren Unternehmenspartnern anbieten, z. B. Werbekunden. Alle diese Dienste unterliegen unserer Datenrichtlinie, in der definiert ist, wie wir die bereitgestellten Informationen sammeln, verwenden und offenlegen. In einigen Fällen können für bestimmte Produkte und Dienste ergänzende Nutzungsbedingungen gelten, die wir dir im Rahmen dieser Dienste mitteilen.

Beachte bitte, dass in einzelnen Fällen für von uns angebotene Produkte und Dienste eigene Datenrichtlinien und Nutzungsbedingungen gelten können.“

Ferner heißt es im Hilfebereich der Beteiligten (Anlage B1, Bl. 53 d.A.):

„Was ist die Messenger-App und warum werde ich aufgefordert, sie zu installieren?

Wir migrieren die Nachrichtenfunktion von der mobilen Facebook-Webseite zur Messenger-App. Daher bitten wir alle Personen, die Messenger-App zu installieren und Nachrichten ab jetzt über diese App zusenden.

Wenn Du Messenger installiert hast, findest Du sämtliche Nachrichten und Kontakte bereits in der App. Du kannst Deine Nachrichten auch weiterhin auf der Facebook-Webseite sehen. Öffne auf Deinem Computer oder Mobiltelefon einen Browser und gehe zu www.facebook.com“.

Die Antragstellerin ist der Auffassung, dass ihr ein Auskunftsanspruch aus § 14 Abs. 3 TMG zustehe. Die Beteiligte sei als soziales Netzwerk im Sinne von § 1 Abs. 1 NetzDG anzusehen. Eine Aufspaltung eines sozialen Netzwerkes in seine unterschiedlichen Funktionen widerspreche dem Sinn und Zweck des NetzDG. Der Begriff „Plattform“ sei aus Nutzersicht zu bestimmen. Für den Nutzer stelle sich das Angebot der Beteiligten als eine einheitliche Plattform und ein einheitliches soziales Netzwerk dar. Der Messenger stelle lediglich eine zusätzliche Kommunikationsfunktion innerhalb des sozialen Netzwerks der Beteiligten dar. Durch die Äußerungen seien die in § 1 Abs. 3 NetzDG genannten Straftatbestände verwirklicht.

Sinn und Zweck des NetzDG sei es, bei Hasskriminalität und anderen strafbaren Inhalten eine effektive Bekämpfung und Verfolgung zu ermöglichen. Grund hierfür sei insbesondere die zunehmende Verbreitung von strafbaren Inhalten vor allem in sozialen Netzwerken wie der Beteiligten gewesen.

Der Anwendungsbereich des NetzDG sei nicht abhängig davon, ob Inhalte öffentlich zugänglich gemacht würden.

Es sei der Beteiligten anhand der Angaben (Benutzername des Versenders sowie des Empfängers sowie übermittelter Text) auch möglich, die betroffenen Nutzer zu identifizieren. Dass der Aufwand für die Ermittlung unzumutbar sei, stelle eine bloße Schutzbehauptung dar.

Die Antragstellerin beantragt,

der Beteiligten zu gestatten, der Antragstellerin Auskunft zu erteilen über die Bestandsdaten der auf der Plattform www.facebook.com registrierten Nutzer unter den Nutzernamen „…“, „…“ und „…“, die unter diesem Nutzernamen unter anderem unter der URL https://www.facebook.com/messages/requests/t/100021503709510 Nachrichten, unter anderem an Frau … verschickt haben, durch Angabe jeweils der folgenden, bei der Beteiligten gespeicherten Daten:

IP-Adressen, die von den Nutzern für das Hochladen und Versenden des Videos und der Bilddatei sowie das Versenden der Nachrichten verwendet wurden, nebst genauem Zeitpunkt des Hochladens unter Angabe des Datums und der Uhrzeit inklusive Minuten, Sekunden und Zeitzone (Uploadzeitpunkt),

a) Namen der Nutzer,

b) E-Mail-Adressen der Nutzer,

c) IP-Adressen, die von den Nutzern zuletzt für einen Zugriff auf ihr Nutzerkonto unter den Nutzernamen „…“, „…“ und „…“ verwendet wurden, nebst genauem Zeitpunkt des Zugriffs unter Angabe des Datums und der Uhrzeit inklusive Minuten, Sekunden und Zeitzone (Zugriffszeitpunkt).

Die Beteiligte begehrt die Zurückweisung des Antrages.

Die Beteiligte trägt vor, dass der „Messenger“ über eine von den Facebook-Diensten separate Plattform betrieben werde. Er werde über eine Smartphone-App genutzt, die sich von der Smartphone-App der Facebook-Dienste unterscheide. Über die Webseite www.messenger.com könne er auch über einen Desktop-Rechner genutzt werden. Die über den Messenger versandten Nachrichten seien nicht öffentlich.

Die Beteiligte ist der Auffassung, dass § 14 Abs. 3 TMG gemäß § 1 Abs. 1 S. 3 NetzDG auf den Facebook-Messenger keine Anwendung finde. Der Gesetzgeber habe aufgrund von Kritik am ersten Entwurf des NetzDG, dass aufgrund der Definition des Anwendungsbereichs auch E-Mail-Dienste und Messenger-Dienste erfasst seien, den Begriff „auszutauschen“ gestrichen. Messenger-Dienste sollten nach der Gesetzesbegründung ausdrücklich vom Anwendungsbereich ausgeschlossen werden. Dies ergebe sich auch aus den Bußgeldleitlinien des Bundesamts für Justiz (Anlage B5, Bl. 101 d.A.). Das NetzDG solle ferner nur Inhalte erfassen, die einer bestimmten Gruppe von Nutzern, allen Nutzern oder der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht würden.

Die Informationen der Antragstellerin reichten nicht aus, um es der Beteiligten zu ermöglichen, die gewünschten Daten zur Verfügung zu stellen. Hierfür benötige die Beteiligte entweder die URL des Profils oder die individuelle Nutzer-ID des Nutzers. Die von der Antragstellerin genannte URL sei eine dynamische URL, die einen Facebook-Nutzer zu seinen empfangenen Nachrichten führe.

14 Abs. 3 TMG gestatte schon von vornherein keine Auskunft über IP-Adressen, denn hierbei handele es sich nicht um Bestands-, sondern um Verkehrsdaten.

II.

Der Antrag der Antragstellerin, der darauf gerichtet ist, es der Beteiligten gemäß § 14 Abs. 3 TMG zu gestatten, Auskunft über Bestands- und Verkehrsdaten einzelner Nutzer zu erteilen, war zurückzuweisen.

Es fehlt an einem Anspruch auf Gestattung, denn für die hier streitgegenständliche Nutzung der Dienste der Beteiligten ist der Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 NetzDG („soziale Netzwerke“) nicht eröffnet.

  1. Die Antragstellerin stützt sich auf § 14 Abs. 3 TMG, der in seiner Neufassung lautet:

„(3) Der Diensteanbieter darf darüber hinaus im Einzelfall Auskunft über bei ihm vorhandene Bestandsdaten erteilen, soweit dies zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche wegen der Verletzung absolut geschützter Rechte aufgrund rechtswidriger Inhalte, die von § 1 Absatz 3 des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes erfasst werden, erforderlich ist.“

  • 1 des dort in Bezug genommenen NetzDG lautet:

(1) Dieses Gesetz gilt für Telemediendiensteanbieter, die mit Gewinnerzielungsabsicht Plattformen im Internet betreiben, die dazu bestimmt sind, dass Nutzer beliebige Inhalte mit anderen Nutzern teilen oder der Öffentlichkeit zugänglich machen (soziale Netzwerke). Plattformen mit journalistisch-redaktionell gestalteten Angeboten, die vom Diensteanbieter selbst verantwortet werden, gelten nicht als soziale Netzwerke im Sinne dieses Gesetzes. Das Gleiche gilt für Plattformen, die zur Individualkommunikation oder zur Verbreitung spezifischer Inhalte bestimmt sind.

(2) Der Anbieter eines sozialen Netzwerks ist von den Pflichten nach den §§ 2 und 3 befreit, wenn das soziale Netzwerk im Inland weniger als zwei Millionen registrierte Nutzer hat.

(3) Rechtswidrige Inhalte sind Inhalte im Sinne des Absatzes 1, die den Tatbestand der §§ 86, 86a, 89a, 91, 100a, 111, 126, 129 bis 129b, 130, 131, 140, 166, 184b in Verbindung mit 184d, 185 bis 187, 201a, 241 oder 269 des Strafgesetzbuchs erfüllen und nicht gerechtfertigt sind.

Die Gesetzesbegründung (BT-Drs. 18/13013, S. 18 f.) führt zum Anwendungsbereich aus:

„Durch das Abstellen auf den bestimmungsgemäßen Gebrauch sowie die Klarstellung in Satz 3 wird im Gesetzestext deutlich zum Ausdruck gebracht, dass Anbieter von Plattformen, die darauf angelegt sind, dass nur spezifische Inhalte verbreitet werden, nicht unter die Regelungen des NetzDG fallen. Daher fallen z. B. berufliche Netzwerke, Fachportale, Online-Spiele, Verkaufsplattformen nicht in den Anwendungsbereich.

Durch das Streichen des Wortes „auszutauschen“ sowie die Klarstellung in Satz 3 wird im Gesetzestext deutlich zum Ausdruck gebracht, dass Dienste der Individualkommunikation (z.B. E-Mail- oder Messengerdienste) nicht unter das Gesetz fallen. Dies ergibt sich auch aus dem eingrenzenden Tatbestandsmerkmal des Betreibens von „Plattformen“. Denn der Begriff der Plattform verweist nach dem allgemeinen Sprachgebrauch auf Kommunikationsräume, wo sich Kommunikation typischerweise an eine Mehrzahl von Adressaten richtet bzw. zwischen diesen stattfindet.“

  1. Die Auslegung des Anwendungsbereichs des NetzDG in § 1 Abs. 1 NetzDG ist unklar und daher auslegungsbedürftig..

a.)Aus dem Gesetzeswortlaut lässt sich ermitteln, dass das NetzDG bestimmte „Telemediendiensteanbieter“ erfassen soll. Es könnte vor diesem Hintergrund bereits fraglich sein, ob das Angebot von Telekommunikationsdiensten, die nach § 1 Abs. 1 S. 1 TMG nicht unter das TMG fallen sollen, überhaupt von der Norm erfasst ist (so Guggenberger, NJW 2017, 2577, 2578). Als solche Telekommunikationsdienste werden nach h.M. auch sogenannte „Over-the-Top“-Dienste wie Messenger (z.B. Skype oder Whatsapp) gezählt (vgl. insoweit OVG Münster, Beschl. v. 26.02.2018 – 13 A 17/16, BeckRS 2018, 3494; VG Köln MMR 2016, 141 [VG Köln 11.11.2015 – 21 K 450/15]; Grünwald/Nüßling, MMR 2016, 91 m.w.N.; Spindler/Schmitz, TMG, 2. Aufl. 2018, § 1 Rn. 26 m.w.N.). Zu beachten ist insoweit jedoch, dass der Gesetzgeber offenkundig davon ausgeht, dass § 1 Abs. 1 S. 1 NetzDG auch auf Messenger Anwendung finden kann, ansonsten hätte es der Ausnahme in § 1 Abs. 1 S. 3 NetzDG nicht bedurft. Daher dürfte – auch nach dem Schutzzweck von § 14 Abs. 3 TMG – der Anwendungsbereich für diese Norm nach § 1 Abs. 1 S. 1 NetzDG bestimmt werden und nicht nach § 11 Abs. 3 TMG. Ansonsten ergäbe die Ausnahme von Individualkommunikation keinen Sinn.

b.)Entscheidend für den vorliegenden Fall ist somit, ob die Ausnahme in § 1 Abs. 1 S. 3 NetzDG auch für die hier streitgegenständlichen Nachrichten gilt, ob also der Facebook „Messenger“ ein „soziales Netzwerk“ (im Sinne einer „Plattform im Internet, die dazu bestimmt ist, dass Nutzer beliebige Inhalte mit anderen Nutzern teilen oder der Öffentlichkeit zugänglich machen“) ist, oder aber eine „Plattform, die zur Individualkommunikation dient“. Nach der Gesetzesbegründung fallen jedenfalls E-Mail(Plattformen) nicht unter das NetzDG.

Das Bundesamt für Justiz hält bei „Messengerdiensten“ den Anwendungsbereich nicht für eröffnet (NetzDG-Bußgeldleitinien, 22.03.2018, Anlage B5, S. 3 f.; vgl. auch https://www.bundesjustizamt.de/DE/Themen/Buergerdienste/NetzDG/Fragen/1.html), ohne jedoch auf die hier zwischen den Parteien aufgeworfenen Abgrenzungsfragen einzugehen.

In der Literatur wird diskutiert, ob unter die Ausnahme nach § 1 Abs. 1 S. 3 NetzDG neben E-Mail- auch Messenger-Dienste wie z.B. Skype und Whatsapp fallen. Die Abgrenzung von Massen- und Individualkommunikation sei keinesfalls eindeutig. Einige der Dienste böten nämlich verschiedene Kommunikationsmöglichkeiten in bzw. mit (großen) Gruppen und damit „Kommunikationsräume“ (Spindler/Schmitz-Liesching, a.a.O., § 1 NetzDG Rn. 48; Spindler, K&R 2017, 533, 534; Spindler, GRUR 2018, 365, 367). Teilweise wird vertreten, dass, soweit bei solchen Plattformen eine Unterscheidung sinnvollerweise möglich sei, jedenfalls nur die Komponente der Massenkommunikation dem NetzDG unterfalle (Guggenberger, NJW 2017, 2577, 2578). Demgegenüber wird in der Kritik an der Gesetzesregelung teilweise ganz konkret nicht auf die Plattform an sich, sondern an die jeweilige Kommunikation abgestellt. Große WhatsApp-Gruppen könnten kaum noch als „nicht-öffentlich“ bezeichnet werden, während kleine Twittergruppen bzw. „Follower“ den sozialen Netzwerken zuzuschlagen sein könnten (Spindler, GRUR 2018, 365, 367; Spindler/Schmitz-Liesching, a.a.O., § 1 NetzDG Rn. 48, 61).

c.)Problematisch ist mit Blick auf den Wortlaut der Regelung vorliegend, dass der Gesetzgeber bei der Unterscheidung der sozialen Netzwerke und der Dienste zur Individualkommunikation von „Plattformen“ spricht und hierbei davon auszugehen scheint, dass diese Plattformen unproblematisch voneinander zu trennen seien. Dies ist jedoch in der Praxis nicht der Fall. Dies zeigt einerseits die oben angeführte Literatur. Aber auch der hiesige Sachverhalt offenbart, dass die Trennung im Einzelfall kaum möglich ist.

Die Beteiligte zieht sich insoweit darauf zurück, dass ihr „Messenger“ eine „separate Plattform“ sei. Der Kammer ist jedoch bekannt – und dies ergibt sich auch aus den Hilfestellungen der Beteiligten („Du kannst Deine Nachrichten auch weiterhin auf der Facebook-Webseite sehen.“) -, dass der „Messenger“ der Beteiligten auch über die Webseite www.facebook.com genutzt werden kann. Die Funktion der Übersendung von nicht-öffentlichen Nachrichten unter Nutzern der „Plattform Facebook“ war bis vor wenigen Jahren vollständig, auch bei der mobilen Nutzung, integriert. Die Beteiligte hat mittlerweile eine Trennung durchgeführt, die nach ihrem Vortrag technisch vollständig sein soll. Da allerdings die Funktionen des „Messenger“ auch über die Webseite www.facebook.com genutzt werden können, ist jedenfalls insoweit aus Sicht der Nutzer die Messenger-Funktion auch als ein Teil der „Plattform Facebook“ anzusehen. Hieraus folgt, dass im hiesigen Fall die „Plattform Facebook“ und die „Plattform Individualkommunikation“ gerade nicht trennscharf unterschieden werden können. Dies untermauert auch die Beteiligte, indem sie u.a. den „Messenger“ als „Teil des Facebook-Benutzererlebnisses“ bezeichnet, während sie andere ihrer Dienste als „unabhängigere Erlebnisse“ ansieht (s. https://de-de.facebook.com/help/1561485474074139). Eine „Plattform“ im Sinne des NetzDG kann daher sowohl der Definition des „sozialen Netzwerks“ unterfallen, weil dort Inhalte mit anderen Nutzern geteilt werden können, als auch gleichzeitig und bestimmungsgemäß Indivualkommunikation ermöglichen. Dementsprechend ist die Bestimmung des Anwendungsbereichs über den Wortlaut „Plattform“ in § 1 Abs. 1 S. 1 und 3 NetzDG nicht hilfreich.

d.)Zu berücksichtigen ist weiter, dass der Anwendungsbereich in § 1 Abs. 1 NetzDG im Wege einer „Regel/Ausnahme“-Regelung definiert wird. Um dem Ziel des Gesetzes, einer wirksamen Bekämpfung von persönlichkeitsrechtsverletzenden Inhalten, zu genügen, ist daher nach der Gesetzessystematik der Anwendungsbereich des „sozialen Netzwerks“ nach § 1 Abs. 1 S. 1 NetzDG eher weit, die Ausnahme nach § 1 Abs. 1 S. 3 NetzDG tendenziell eher eng zu fassen.

e.)Nach Auffassung der Kammer sollen – unter Berücksichtigung der oben dargestellten Gesichtspunkte sowie Wortlaut, Systematik, Sinn und Zweck und der Gesetzgebungsgeschichte der Regelung – durch das NetzDG jedenfalls Tathandlungen wie hier, die nicht öffentlich erfolgt sind, vom Anwendungsbereich des NetzDG nicht erfasst sein. Dies ergibt sich zum einen (indiziell) aus dem Wortlaut, der „Plattformen, die zur Individualkommunikationbestimmt sind“, ausnehmen soll. Aus der Gesetzesbegründung des NetzDG und der Gesetzgebungshistorie ergibt sich weiter, dass nur „Kommunikation, [die sich] typischerweise an eine Mehrzahl von Adressaten richtet bzw. zwischen diesen stattfindet“ nicht in den Anwendungsbereich fallen soll.

Nach der Gesetzesbegründung war Anlass für die Schaffung des NetzDG u.a. eine „Veränderung des gesellschaftlichen Diskurses im Netz und insbesondere in den sozialen Netzwerken“ (BT-Drs. 18/12356, S. 11). Die Debattenkultur im Netz sei oft aggressiv, verletzend und nicht selten hasserfüllt. Hassrede und rassistische Hetze könnten jede und jeden aufgrund der Meinung, Hautfarbe oder Herkunft, der Religion, des Geschlechts oder der Sexualität diffamieren. Auch „Fake News“ sollten bekämpft werden können (BT-Drs. 18/12356, S. 11). Hiervon erfasst sein sollten sowohl der „Austausch von Inhalten mit anderen Nutzern in einer geschlossenen Netzgemeinschaft („gated community“) als auch die Verbreitung von Inhalten in der Öffentlichkeit“ (BT-Drs. 18/12356, S. 12).

Darüber hinaus ist zu beachten, dass das NetzDG auch und insbesondere geschaffen wurde, um Inhalte „löschen“ zu können, in der Regel binnen 24 Stunden (BT-Drs. 18/12356, S. 12). Auch dies spricht dafür, dass es sich bei den betroffenen, zu löschenden Nachrichten um solche handelt, die an eine bestimmte Öffentlichkeit gerichtet sind. Denn jedenfalls Nachrichten, die nur zwischen zwei Personen im Wege der „Individualkommunikation“ ausgetauscht werden, können in der Regel auch vom Empfänger gelöscht werden. Von ihnen geht anschließend – über den ursprünglichen Gehalt hinaus – keine weitere persönlichkeitsrechtsverletzende Wirkung aus. Anders ist dies bei Nachrichten, die vom Betroffenen nicht gelöscht werden können, so dass sich die Persönlichkeitsrechtsverletzung perpetuiert. Nur für diese besteht daher ein Bedarf an der Löschung.

f.) Im vorliegenden Fall geht es um Rechtsverletzungen, die jeweils durch den „Messenger“ der Beteiligten nur zwischen jeweils zwei Personen begangen wurden. Eine über dieses Verhältnis von Sender und Empfänger hinausgehende Wirkung, die eine „Öffentlichkeit“ im oben dargestellten Sinn begründen würde, ist nicht erkennbar. Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass die Antragstellerin an der jeweiligen Individualkommunikation nicht beteiligt war.

Die Kammer verkennt insoweit nicht, dass die hier verfahrensgegenständlichen Nachrichten durchaus die übrigen Voraussetzungen insbesondere von § 1 Abs. 3 NetzDG i.V.m. den dort in Bezug genommenen Strafvorschriften erfüllen können und daher eine Persönlichkeitsrechtsverletzung der Antragstellerin außer Frage stehen dürfte. Es besteht vor diesem Hintergrund für die Antragstellerin durchaus der Bedarf, die Identität der Absender der Nachrichten ermitteln und so gegen die Persönlichkeitsrechtsverletzungen vorgehen zu können. Der Gesetzgeber hat sich jedoch offenkundig dazu entschieden, dass in Fällen der Individualkommunikation eine Gestattung der Auskunft nicht verlangt werden kann und so die Möglichkeit des privaten Vorgehens gegen solche Persönlichkeitsrechtsverletzungen nicht ermöglicht bzw. nicht erleichtert werden soll. Der durch solche Äußerungen Betroffene wird daher vom Gesetzgeber (weiterhin) allein auf die Verfolgung durch Einschaltung der Strafbehörden verwiesen (vgl. zur Kritik an § 5 Abs. 2 NetzDG, der die Auskunft der Betreiber von sozialen Netzwerken an Strafverfolungsbehörden regelt, Spindler, K&R 2017, 533, 542).

Nach alledem konnte im Ergebnis offenbleiben, ob Messenger-Dienste wie der der Beteiligten generell oder nur im konkreten Einzelfall vom Anwendungsbereich des NetzDG erfasst sind. Denn jedenfalls die hier betroffenen Kommunikationsvorgänge zwischen lediglich zwei Personen unterfallen dem Anwendungsbereich des NetzDG nicht.

g.)Auf die weiteren Fragen, insbesondere, ob die Antragstellerin auch Auskunft über Verkehrsdaten verlangen kann (vgl. insoweit § 15 Abs. 5 S. 4 TMG, der u.a. auf § 14 Abs. 3 TMG verweist) oder ob die der Beteiligten von der Antragstellerin zur Verfügung gestellten Informationen hinreichend zur Erteilung der Auskunft sind, kam es nach alledem nicht mehr an.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 14 Abs. 4 S. 6 TMG, die Festsetzung des Gegenstandswerts auf § 3 ZPO.

 

Quelle: Hessenrecht

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