Leitsatz
1. Im Falle einer symptomlosen Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus liegt keine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit im Sinne von § 3 EFZG vor.
2. Eine Quarantäneanordnung wegen einer Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus stellt ein persönliches, nicht ein objektives Leistungshindernis im Sinne des § 616 BGB dar.
3. Wegen der gesetzgeberischen Ausgestaltung als Ausnahmetatbestand und unter Berücksichtigung der Risikoverteilung in einer Pandemie können bei einer behördlichen Quarantäneanordnung allenfalls wenige Tage einen verhältnismäßig nicht erheblichen Zeitraum im Sinne des § 616 Satz 1 BGB darstellen. Hierbei sollte als Richtgröße eine Grenze von maximal fünf Tagen angenommen werden.
4. Der Arbeitgeber ist für einen Anspruch aus § 56 Abs. 1, Abs. 5 IfSG nicht passivlegitimiert (Anschluss an LAG Düsseldorf, Beschluss vom 10.10.2022 – 3 Ta 278/22). Dies führt – unabhängig von der Frage des eröffneten Rechtswegs – zur Unbegründetheit einer hierauf gestützten Klage gegen den Arbeitgeber.
vorgehend ArbG Erfurt, 1. Dezember 2022, 1 Ca 470/22, Urteil
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Erfurt vom 01.12.22 – 1 Ca 470/22 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
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Die Parteien streiten um einen Anspruch auf Vergütungszahlung für die Zeit einer Corona-Quarantäne.
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Die Beklagte betreibt Pflegeeinrichtungen. Die Klägerin ist bei der Beklagten seit dem 15.12.2020 als Pflegefachkraft zu einem Gehalt von zuletzt 3.196,22 € brutto beschäftigt.
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Bei einem betrieblichen Test wurde bei der Klägerin Anfang November 2021 eine Corona-Infektion festgestellt. Trotz bestehender Impfempfehlung war die Klägerin zu diesem Zeitpunkt nicht geimpft. Aufgrund behördlicher Anordnung des Gesundheitsamtes A… vom 24.11.2021 (Bl. 17 ff. der Gerichtsakte) wurde der Klägerin auferlegt, im Zeitraum vom 06.11. bis zum 18.11.2021 einer häuslichen Quarantäne nachzukommen. Ausweislich der Begründung der behördlichen Anordnung galt bei der Klägerin nach dem labordiagnostischen Untersuchungsbefund vom 05.11.2021 eine SARS-CoV-2-Infektion als gesichert, so dass eine 14-tägige Quarantäne für den Zeitraum 04.11. bis 18.11.2021 berechnet wurde. Die Infektion der Klägerin verlief symptomlos. Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für den Zeitraum der Quarantäne legte die Klägerin nicht vor.
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Ausweislich der Abrechnung für November 2021 (Bl. 21 der Akte) zahlte die Beklagte an die Klägerin für November 2021 unter Abzug des Zeitraums vom 06.11. bis 15.11.2021 statt der vollen 3.196,22 € brutto nur einen Betrag von 2.130,81 € brutto. Nicht Gegenstand des Abzugs war der Zeitraum 16.11. bis 20.11.2021, in dem die Klägerin an einem Online-Lehrgang teilgenommen hatte.
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Mit Schreiben vom 17.12.2021 (Bl. 22 der Akte) machte die Klägerin Auszahlung des Differenzbetrages von 1.065,41 € brutto geltend, was die Beklagte mit Schreiben vom 22.12.2021 (Bl. 24 der Akte) ablehnte.
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Mit ihrer am 21.03.2022 beim Arbeitsgericht eingegangenen und der Beklagten am 29.03.2023 zugestellten Klage hat die Klägerin Zahlung des Differenzbetrages begehrt.
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Sie hat die Auffassung vertreten, ihr stehe für die Dauer der behördlich angeordneten Quarantäne ein Vergütungsanspruch gemäß § 616 BGB zu. Der Maßstab für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit im Sinne des § 616 BGB sei in der Rechtsprechung nicht abschließend geklärt. Ein Zeitraum von maximal fünf Tagen sei nicht vertretbar. Vielmehr seien eher die Zeitspannen aus dem Entgeltfortzahlungsgesetz bzw. dem Pflegezeitgesetz von zehn bzw. 20 Tagen oder sogar sechs Wochen heranzuziehen. In Bezug auf die Kausalität der Nichtimpfung sei zu beachten, dass die Klägerin nicht als Kontaktperson, sondern als Selbstinfizierte der Quarantäne unterlag. Nach aktuellen Erkenntnissen, die auch vom wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages und dem Bundesministerium für Gesundheit gestützt würden, könne nicht angenommen werden, dass eine Impfung die Infektion verhindert hätte.
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Jedenfalls ergebe sich der Anspruch als Entschädigungsleistung aus § 56 IfSG. Dieser Anspruch sei gemäß § 56 Abs. 5 IfSG durch die Beklagte als Arbeitgeber zu erfüllen. Der Anspruch auf die Entschädigungsleistung sei gemäß § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG nur dann ausgeschlossen, wenn durch die Inanspruchnahme einer Schutzimpfung eine Absonderung hätte vermieden werden können. Als gerichtsbekannt werde dabei vorausgesetzt, dass eine Impfung nicht vor der Infektion, sondern allenfalls vor schweren Krankheitsverläufen hätte schützen können.
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Die Klägerin hat zudem angeführt, mit der Weigerung, die vertraglich geschuldete Vergütung zu leisten, verstoße die Beklagte auch gegen Treu und Glauben, da sich die Klägerin mit hoher Wahrscheinlichkeit in Ausübung ihrer Berufstätigkeit mit dem Virus infiziert habe.
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Die Klägerin hat beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an sie einen Betrag in Höhe von 1.065,41 € brutto zu zahlen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, ein Anspruch nach § 616 BGB scheide bereits deshalb aus, weil die Norm nur unerhebliche Verhinderungszeiträume von maximal fünf Tagen umfasse. Die Klägerin sei hingegen zehn Tage an der Arbeitsleistung verhindert gewesen.
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Auf § 3 EFZG könne sich die Klägerin nicht berufen, weil die fehlende Impfung ein schuldhaftes Verhalten darstelle. Das Thüringer Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie habe die Covid-19-Schutzimpfung bereits am 18.12.2020 öffentlich empfohlen. Unternehmensweit habe den Mitarbeitern der Beklagten ein Impfangebot vorgelegen. Auch ein Anspruch aus § 56 Abs. 1 IfSG scheide mangels vollständigen Impfschutzes aus. Bis 22.03.2022 seien ausweislich einer Internet-Veröffentlichung des Thüringer Landesverwaltungsamts Anträge auf Entschädigungsleistungen nach § 56 IfSG dann nicht bewilligt worden, wenn zum Zeitpunkt der Quarantäneanordnung die betroffene Person trotz hinreichenden Impfstoffangebots und ohne medizinische Kontraindikation keine Schutzimpfung in Anspruch genommen hatte.
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Mit Urteil vom 01.12.2022 (Bl 55 ff. der Akte) hat das Arbeitsgericht Erfurt die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG scheide aus, da die Klägerin mangels Krankheitssymptomatik nicht arbeitsunfähig krank gewesen sei. Ein Anspruch aus § 616 Satz 1 BGB sei wegen eines Eigenverschuldens der Klägerin ausgeschlossen. Die Klägerin hätte die Quarantäneanordnung durch eine zumutbare und öffentlich empfohlene Schutzimpfung gegen SARS-CoV-2 verhindern können. Zu dem maßgeblichen Zeitraum sei die sogenannte Delta-Variante vorherrschend gewesen, bei der ausweislich der Verlautbarungen des RKI eine hohe Impfeffektivität vorgelegen habe. Die Nichtimpfung stelle ein sogenanntes Verschulden gegen sich selbst dar. Auch ein Anspruch aus § 56 Abs. 1 Satz 1 IfSG scheitere daran, dass die Klägerin die Absonderung durch die Inanspruchnahme einer Schutzimpfung hätte vermeiden können. Ausweislich der hohen Impfstoffeffektivität liege auch die erforderliche Kausalität zwischen der Nichtinanspruchnahme der Schutzimpfung und der Vermeidbarkeit einer Absonderung vor. Eine strenge Kausalitätsprüfung verbiete sich, da es nicht Aufgabe des Arbeitgebers und des Staates sei, sämtliche durch die Pandemie entstandenen Auswirkungen auszugleichen, die der Einzelne durch gewissenhaftes Verhalten hätte vermeiden können. Ein Anspruch aus dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben scheitere an fehlenden Anhaltspunkten dafür, dass sich die Klägerin in Ausübung ihrer Berufstätigkeit mit dem Virus infiziert habe. Wegen der weiteren Feststellungen und Ausführungen des erstinstanzlichen Urteils wird auf Blatt 55 bis 62 der Akte verwiesen.
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Gegen das ihr am 09.02.2023 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit einem am 07.03.2023 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit einem weiteren Schriftsatz vom 06.04.2023, am gleichen Tag beim Landesarbeitsgericht eingegangen, begründet.
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Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihren Zahlungsanspruch weiter und führt an, zwar habe keine Arbeitsunfähigkeit bestanden. Im Zusammenhang mit § 616 BGB sei aber zu berücksichtigen, dass eine Infizierung der Klägerin mit der Delta-Variante nicht belegt sei. Auf eine etwaige Impfeffektivität mit Blick auf diese Variante könne sich die Beklagte zur Begründung der Verweigerung ihrer Zahlung nicht berufen. Vielmehr sei auch zwischenzeitlich durch das RKI (Veröffentlichung des Robert-Koch-Instituts vom 28.03.2023) anerkannt, dass sich auch eine geimpfte Person wahrscheinlich mit dem Virus anstecken könnte. Nur eine schwere Erkrankung sei mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen. Einen groben Verstoß gegen das von einem verständigen Menschen zu erwartende Verhalten und damit ein schweres Eigenverschulden scheide zudem deshalb aus, weil im November 2021 nur ca. 61 % der Bevölkerung Thüringens geimpft gewesen sei. Zudem habe – insoweit unbestritten – im November 2021 eine gesetzliche Impfpflicht nicht bestanden. Auch das Landesverwaltungsamt habe mit einer Veröffentlichung vom 14.10.2022 verlautbart, dass für Ansprüche aus § 56 IfSG danach unterschieden werden müsse, ob der Betroffene selbst erkrankt war oder nur als Kontaktperson galt.
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Auf einen etwaigen Ausschluss des § 616 BGB durch vertragliche Inbezugnahme von Arbeitsvertragsbedingungen des Arbeitgeberverbandes könne sich die Beklagte wegen eines Verstoßes gegen AGB-Recht nicht berufen.
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Die Klägerin beantragt,
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unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Erfurt vom 01.12.2022 – 1 Ca 470/22 – die Beklagte zu verurteilen, an sie einen Betrag in Höhe von 1.065,41 € brutto nebst 5 % Zinsen über Basiszins seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Die Beklagte führt an, auf § 616 BGB könne sich die Klägerin zur Begründung ihres Zahlungsanspruchs bereits deshalb nicht berufen, weil dieser zwischen den Parteien abbedungen worden sei. Nach § 1 des Arbeitsvertrages vom 03.12.2020 (Bl. 6 ff. der Akte) fänden die Richtlinien des bpa Arbeitgeberverbandes e.V. vom 06.11.2017 auf das Arbeitsverhältnis Anwendung. Nach dessen § 9 Abs. 4 (Blatt 105 der Akte) bestehe ein Anspruch gemäß § 616 BGB nicht.
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Da zu dem Zeitpunkt der Befundung der Klägerin die Delta-Variante dominierend gewesen sei, sei auch davon auszugehen, dass sich auch die Klägerin mit dieser Variante infiziert habe. Der positive Befund der Klägerin stamme vom 05.11.2021. Erst am 09.11.2021 sei Omikron in einer Probe in Südafrika identifiziert und erst Ende November 2021 diese Variante in Deutschland nachgewiesen worden. Zwar habe es im November 2021 eine gesetzliche Impfpflicht nicht gegeben, im Dezember 2021 habe der Gesetzgeber jedoch eine einrichtungsbezogene Impfpflicht beschlossen.
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§ 56 IfSG scheide als Anspruchsgrundlage bereits deshalb aus, weil die Beklagte hierfür nicht passivlegitimiert sei. § 56 Abs. 5 Satz 1 IfSG beinhalte keinen Anspruch gegen den Arbeitgeber.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung zweiter Instanz vom 08.08.2023 (Bl. 145 der Akte) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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I. Die Berufung der Klägerin ist zulässig.
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Insbesondere wurde die Berufung form- und fristgerecht eingelegt sowie begründet, § 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG, § 64 Abs. 6 ArbGG iVm § 520 Abs. 3 ZPO.
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II. Die Berufung der Klägerin ist jedoch unbegründet.
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Im Ergebnis zutreffend hat das Erstgericht einen Anspruch der Klägerin auf Zahlung einer Vergütung in rechnerisch unbestrittener Höhe von 1.065,41 € brutto für den Zeitraum 06.11. – 15.11. 2021 verneint.
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1. Klarzustellen ist, dass sich der begehrte Zahlungsanspruch der Klägerin nur auf den Zeitraum 06.11. bis 15.11.2021 beziehen kann und nicht, wie das Erstgericht in den Entscheidungsgründen ausführt, auf den Zeitraum 06.11. bis 18.11.2021. Zwar dauerte die Quarantäneanordnung vom 06.11. bis 18.11.2021, unbestritten hat die Klägerin jedoch vom 16.11. bis 18.11.2021 an einem Online-Lehrgang teilgenommen und hierfür eine entsprechende Bezahlung erhalten. Gegenstand des Abzugs waren nach den unbestritten gebliebenen Angaben der Beklagten ausschließlich die Tage 06.11. bis 15.11.2021.
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2. Zutreffend verneint das Erstgericht einen Anspruch der Klägerin aus § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG.
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Ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung besteht nur im Falle einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit. Die Klägerin war vorliegend jedoch symptomlos mit dem SARS-CoV-2-Virus infiziert. Eine ärztlich attestierte Arbeitsunfähigkeit lag nicht vor.
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Zwar wird vereinzelt vertreten, bereits die Infektion an sich stelle auch im Falle eines symptomlosen Verlaufs einen regelwidrigen Körper- und Geisteszustand dar und habe damit Krankheitswert im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG (siehe etwa Noack NZA 2021, 251, 252). In der Infektion liege auch der Grund für die Arbeitsunfähigkeit. Zwar könne der Arbeitnehmer in einem solchen Fall die geschuldete Arbeitsleistung erbringen. Es sei ihm objektiv jedoch nicht zumutbar, seinen Arbeitsplatz aufzusuchen, weil er andere in Gefahr bringe, ebenfalls zu erkranken.
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Von der wohl herrschenden Meinung wird demgegenüber angenommen, dass im Falle einer symptomlosen Infektion eine Arbeitsunfähigkeit im Sinne des Entgeltfortzahlungsgesetzes ausscheidet (LAG Köln 13.12.2021 – 2 Sa 488/21; ErfK-Preis, 23. Auflage 2023, § 611a BGB Rn. 779; MüKoBGB-Müller-Glöge, 9. Auflage 2023, § 3 EFZG Rn. 5; Preis/Mazurek/Schmid NZA 2020, 1137, 1138). Auch die erkennende Kammer schließt sich dieser Auffassung an. Denn zu berücksichtigen ist, dass die Infektion den Arbeitnehmer zwar ansteckend sein lässt, gleichwohl aber wegen der Symptomlosigkeit keine Einschränkungen für das Wohlbefinden des Infizierten vorliegen. Die Unzumutbarkeit, den Arbeitsplatz aufzusuchen und die Kollegen nicht zu gefährden, ist kein Argument für eine Arbeitsunfähigkeit. Denn die Arbeitsunfähigkeit bestimmt sich danach, ob abträgliche gesundheitliche Folgen für den erkrankten Arbeitnehmer selbst eintreten können, nicht für Dritte. Ist der Arbeitnehmer bloß ansteckend, ist die Arbeitsunfähigkeit nicht unmittelbar Ausfluss der Infektion, sondern resultiert aus der vertraglichen Nebenpflicht, dem Arbeitsort zum Schutz der Belegschaft fernzubleiben. Dass der Arbeitnehmer durch die bloße Infektion noch nicht infolge einer Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert ist, zeigt sich auch daran, dass die Leistung im Einzelfall im Homeoffice erbracht werden kann (zu allem Preis/Mazurek/Schmid NZA 2020, 1137, 1138). Bei Infizierten, die vollkommen symtomlos bleiben, ist zudem keine Heilbehandlung angezeigt. Und nach den Empfehlungen der kassenärztlichen Bundesvereinigung ist bei Patienten ohne Symptome in aller Regel keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung auszustellen (vgl. MüKoBGB- Müller-Glöge, 9. Auflage 2023, § 3 EFZG Rn. 5; Preis/Mazurek/Schmid NZA 2020, 1137, 1138; jeweils m.w.N.)
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Gegen eine Arbeitsunfähigkeit der Klägerin im vorliegenden Fall spricht auch, dass sie während der Quarantäneanordnung – jedenfalls im Zeitraum 16.11. bis 18.11.2021 – an einem Online-Lehrgang teilnahm. Eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit lag im Quarantänezeitraum damit nicht vor. Eine solche ist von der Klägerin auch nicht behauptet worden.
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3. Die erkennende Kammer sieht – wie das Erstgericht – einen klägerischen Anspruch aus § 616 Satz 1 BGB als nicht gegeben an. Der Wertung des Erstgerichts folgt die Kammer allerdings nur im Ergebnis, nicht jedoch in der Begründung.
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Nach § 616 Satz 1 BGB geht ein Arbeitnehmer seines Anspruchs nicht dadurch verlustig, dass er für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund – ohne sein Verschulden – an der Arbeitsleistung verhindert wird.
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a) Ein personenbedingtes Leistungshindernis liegt allerdings vor. Denn die Klägerin war wegen der durch die Virus-Infektion ausgelösten Quarantäneanordnung im streitgegenständlichen Zeitraum an der Erbringung der Arbeitsleistung verhindert.
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Eine Quarantäneanordnung wegen einer Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus stellt nach Auffassung der Kammer ein persönliches, nicht ein objektives Leistungshindernis dar.
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Allerdings wird eine Quarantäne teilweise als objektives Leistungshindernis bewertet. Als Grund wird angeführt, dass bei einer weltweiten Pandemie sich in der Quarantäneanordnung nicht ein persönliches, sondern das global bestehende Ansteckungsrisiko verwirklicht. Die Ansteckungsgefahr sei wegen der weltweiten Pandemie und der Übertragungswege durch Aerosole für den Einzelnen nicht mehr beherrschbar. Angesichts des Infektionsgeschehens stelle die Betroffenheit Einzelner ein globales Phänomen und nicht mehr einen persönlichen Lebensumstand dar (so etwa ArbG Iserlohn 03.05.2022 – 2 Ca 1848/21- Juris Rn. 69 m.w.N.).
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Demgegenüber wird überwiegend ein subjektives Leistungshindernis angenommen (OLG Hamm 29.10.2021 – 11 U 60/21 – zu Ziffer 3 a der Gründe; OVG Münster 10.03.2023 – 18 A 563/22 – Juris Rn. 76-81; OVG Lüneburg 02.07.2021 – 13 LA 258/21; ErfK-Preis 23. Auflage 2023, § 616 BGB Rn. 6 a; Noack NZA 2021, 251, 253; Balkau NJW 2023, 1768, 1772). Für ein persönliches Leistungshindernis und gegen ein objektives Leistungshindernis spricht aus Sicht der Kammer, dass der die Quarantäne begründende Gefahrenverdacht variiert und abhängig ist vom Einzelfall sowie weiteren subjektiven Faktoren. Die besonderen persönlichen Verhältnisse des Arbeitnehmers sind derart betroffen, dass Rückwirkungen auf seinen körperlichen oder seelischen Zustand bestehen, womit stets ein personenbezogener Grund anzunehmen ist. Die Pandemie ist zwar ein weltweites Ereignis, trotzdem verwirklicht sich bei der Anordnung einer Absonderung ein personenbezogener Gefahrenverdacht. Denn die Anzahl der betroffenen Fälle ist nur ein erstes Indiz. Auch bei hoher Durchseuchung der Bevölkerung sind Krankheitsverdacht oder symptomlose Infektionen immer in der Person liegende Gründe. Eine andere Sichtweise würde auch zu erheblicher Rechtsunsicherheit führen. Es wäre kaum bestimmbar, ab welchem Zeitpunkt in welchem Gebiet ein subjektives Leistungshindernis sich in ein objektives wandeln soll und umgekehrt (Preis/Mazurek/Schmid NZA 2020, 1137, 1140).
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Der Verneinung eines objektiven Leistungshindernisses steht auch nicht die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zum Betriebsrisiko bei öffentlich-rechtlichen Maßnahmen im Zuge einer Pandemie entgegen (vgl. BAG 13.10.2021 – NZA 2022, 182). Denn die Fallgestaltungen unterscheiden sich wesentlich. Dort ging es um behördliche Betriebsschließungen im sogenannten Lockdown zur Eindämmung einer allgemeinen Gefahrenlage im Rahmen der Pandemiebekämpfung. Diese Betriebsschließungen zur Reduzierung der sozialen Kontakte betrafen betriebsübergreifend nahezu flächendeckend alle nicht für die Versorgung der Bevölkerung notwendigen Einrichtungen. Im dortigen Fall erfolgten die Betriebsschließungen gerade unabhängig von der konkreten Art des betroffenen Betriebs. Im vorliegenden Fall geht es jedoch nicht um flächendeckende Quarantäneanordnungen unabhängig von der Person des Betroffenen. Die Quarantäneanordnung erfolgte vorliegend wegen der Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus, also gerade personenbezogen dort, wo aufgrund der Infektion die Betroffene einen in ihrer Person liegenden Gefahrenverdacht für die Ansteckung weiterer Personen in sich trug. Die Frage, ob der Arbeitgeber oder der Staat das Lohnrisiko zu tragen haben, lässt sich aus diesem Grund zutreffend über die Verhinderungsdauer, nicht jedoch über die Verneinung des § 616 Satz 1 BGB wegen des Vorliegens eines objektiven Leistungshindernisses lösen (so auch ErfK-Preis, 23. Auflage 2023, § 616 BGB Rn. 6a am Ende).
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b) Der Klägerin bleibt ein Anspruch aus § 616 Satz 1 BGB trotz des Vorliegens eines subjektiven Leistungshindernisses jedoch deshalb verwehrt, weil die ihr gegenüber angeordnete Quarantäne eine verhältnismäßig erhebliche Zeit der Verhinderung darstellt.
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aa) Unerlässliche Voraussetzung für die Aufrechterhaltung eines Vergütungsanspruchs aus § 616 Satz 1 BGB ist, dass der dem Leistungshindernis zugrundeliegende Zeitraum einen verhältnismäßig nicht erheblichen Zeitraum ausmacht. Da die nicht erhebliche Dauer unerlässliche Tatbestandsvoraussetzung ist, entfällt bei Nichtvorliegen dieser Voraussetzung der Anspruch auf Lohnfortzahlung vollständig (so bereits BGH 30.11.1978 – III ZR 43/77 – unter Ziffer II. 4 der Gründe; ErfK-Preis, 23. Auflage 2023, § 616 BGB Rn. 10 m.w.N.; Preis/Mazurek/Schmid NZA 2020, 1137, 1140; Balkau NJW 2023, 1768, 1771).
Randnummer47
bb) Wie das Tatbestandsmerkmal „für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit“ auszulegen ist, ist insbesondere im Zusammenhang mit Quarantäneanordnungen gegenüber nicht arbeitsunfähig mit dem Corvid-19-Virus Infizierten umstritten.
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Festzuhalten ist, dass es sich bei diesem Begriff um einen unbestimmten Rechtsbegriff handelt, der der Ausfüllung durch die Gerichte bedarf. Unter Berufung auf die Formulierung „verhältnismäßig“ wird daher vertreten, dass es im Einzelfall auf das Verhältnis des Abwesenheitszeitraums zu der Dauer des Arbeitsverhältnisses als maßgebliches Kriterium ankäme (so etwa BGH 30.11.1978 – III ZR 43/77 – unter Ziffer II. 4 der Gründe; OLG Hamm 29.10.2021 – 11 U 60/21 – Ziffer 3 b der Gründe). Daneben seien Art und Grund der Verhinderung des Arbeitnehmers zu berücksichtigen. Einheitliche Grenzen ließen sich nicht für alle Fälle bestimmen.
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Die Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs „nicht erhebliche Zeit“ nach dem Verhältnis der Dauer des Arbeitsverhältnisses zur Dauer der Verhinderungszeit vorzunehmen, würde im Zusammenhang mit der üblicherweise verhängten Quarantänedauer von 14 Tagen jedoch zu großer Rechtsunsicherheit führen. Eine solche Vorgehensweise könnte dazu führen, dass ein identischer Quarantänezeitraum für einen Arbeitnehmer mit einem kürzer andauernden Beschäftigungsverhältnis als verhältnismäßig erheblicher Zeitraum gilt, während der identische Zeitraum für einen bereits länger beschäftigten Arbeitnehmer nicht erheblich wäre. Ein solches Ergebnis würde im Kontext infektionsschutzrechtlicher Absonderungen von Willkür und Zufall abhängen (so auch Balkau NJW 2023, 1768, 1772).
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Gegen eine stets den Einzelfall betrachtende Sichtweise spricht auch, dass die Quarantänedauer im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie aufgrund der Inkubationszeit des Covid-19-Virus üblicherweise 14 Tage betrug. Die Frage, ob diese standardmäßig auferlegten 14 Tage einen erheblichen oder unerheblichen Zeitraum des Leistungshindernisses darstellen, entscheidet damit zugleich über die Risikoverteilung der Leistungshindernisse in der Pandemie. Handelt es sich um einen unerheblichen Zeitraum, ist der Arbeitgeber gemäß § 616 Satz 1 BGB in aller Regel ohne eine Erstattungsmöglichkeit verpflichtet, Vergütungszahlungen vorzunehmen. Handelt es sich um einen erheblichen Zeitraum, greift die Erstattungsnorm des § 56 IfSG, die im Zuge der Corona-Pandemie wiederholt geändert wurde. Vor diesem Hintergrund ist die Kammer der Auffassung, dass es einer angemessenen Risikoverteilung in der Corona-Pandemie entspricht, dem Staat das Risiko eines Leistungshindernisses aufgrund eines symptomlosen Verlaufs einer Infektion aufzuerlegen. Zwar realisiert sich durch die Infektion eine in der Person des Arbeitnehmers liegende Gefahr, so dass – wie oben aufgezeigt – ein subjektives Leistungshindernis zu bejahen ist. Gleichzeitig stellen Corona-Infektionen ein flächendeckendes Phänomen dar. Die gesetzgeberische Entscheidung, hierfür ein staatliches Erstattungssystem nach §§ 56 ff. IfSG vorzuhalten, muss in diesem Zusammenhang Berücksichtigung finden. Die gesetzgeberische Intention ging gerade nicht dahin, das Lohnfortzahlungsrisiko bei nicht erkrankten Infizierten wochenlang auf den Arbeitgeber abzuwälzen. Denn sonst hätte es der Gleichstellung von Ausscheidern, Ansteckungsverdächtigen und Kranken im Zusammenhang mit den Entschädigungsregeln nach § 56 IfSG nicht bedurft (so auch Preis/Mazurek/Schmid NZA 2020, 1137, 1140). Die Wertung als erheblicher Zeitraum im Sinne des § 616 BGB fügt sich so in das vom Gesetzgeber intendierte System ein. § 56 IfSG hätte lohnfortzahlungstechnisch nicht eingeführt werden müssen, wenn der Gesetzgeber für derartige Fälle im Arbeitsverhältnis bereits eine Fortzahlung nach § 616 BGB als gesichert angesehen hätte.
Randnummer51
Letztlich ist eine ungefähre Richtgröße notwendig. Vor dem Hintergrund, dass es sich bei § 616 BGB um einen Ausnahmetatbestand handelt, der grundsätzlich eng auszulegen ist (BAG 25.10.1973 – 5 AZR 156/73 – zu Ziffer 2 der Gründe; Noack 2021, 251, 253; Balkau NJW 2023, 1768, 1772), ist es abzulehnen, die Dauer von 14 Tagen in häuslicher Quarantäne in aller Regel als verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit i. S. d. § 616 Satz 1 BGB anzusehen (so OLG Hamm 29.10.2021 – 11 U 60/21 – Ziffer 3 b der Gründe im Anschluss an BGH 30.11.1978-III ZR 43/77). Vielmehr ist der Ausnahmecharakter der Norm zu berücksichtigen – 14 Tage stellen keinen Zeitraum dar, den ein Arbeitgeber einkalkulieren muss. Daher ist eine üblicherweise 14 Tage dauernde Quarantäneabsonderung regelmäßig als erheblich in diesem Sinne anzusehen (so auch Balkau NJW 2023, 1768, 1772). Eine zweiwöchige Quarantäne geht – wie gesetzgeberische Wertungen wie etwa in § 2 Pflegezeitgesetz für den Zeitraum von bis zu zehn Tagen zeigen – über diese kurzen Zeiträume hinaus. Die Regeldauer einer behördlich angeordneten Absonderung von positiver auf das Corona-Virus SARS-CoV-2 getesteten Arbeitnehmern in häuslicher Quarantäne für die Dauer von 14 bzw. 15 Tagen ist auch bei einer Vollzeittätigkeit daher regelmäßig als erheblich anzusehen (VG Münster 10.11.2022 – 5 aK 1163/21 Rn. 76).
Randnummer52
Nicht erheblich sind nach der gesetzgeberischen Wertung als Ausnahmetatbestand allenfalls wenige Tage (so LG Münster 15.04.2021 – 8 O 345/20 – beck-online Rn. 24; auch ErfK-Preis, 23. Auflage 2023, § 616 BGB Rn. 10b; Noack NZA 2021, 251, 253; mit etwas anderer Begründung auch Preis/Mazurek/Schmid NZA 2020, 1137, 1141). Die erkennende Kammer ist der Auffassung, dass diese Grenze bei fünf Tagen gezogen werden sollte. Eine Obergrenze von wenigen Tagen wird dabei nicht nur dem Ausnahmecharakter der Norm gerecht, sondern entspricht auch den Wertungen der Tarifpartner in zahlreichen Tarifverträgen, die § 616 BGB konkretisieren (vgl. Noack NZA 2021, 251, 253 m. w. N.).
Randnummer53
Soweit in der Rechtsprechung ein Zeitraum von bis zu sechs Wochen als unerheblich im Sinne von § 616 Satz 1 BGB angesehen wird (vgl. etwa OVG Münster 10.03.2023 – 18 A 563/22), vermag die Kammer der dortigen Argumentation nicht zu folgen. Es wird angeführt, der Bundesgerichtshof habe bereits 1978 entschieden, dass sich der verhältnismäßig erhebliche Zeitraum des § 616 Satz 1 BGB an der Sechs-Wochen-Frist für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zu orientieren habe. Bei dieser Argumentation wird jedoch übersehen, dass in den 90er-Jahren der Sechs-Wochen-Zeitraum aus § 616 BGB herausgelöst und für die Fälle der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit in § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz überführt wurde. § 3 EFZG stellt dabei eine bewusste gesetzgeberische Entscheidung dar, die schuldrechtliche Grundsätze durchbricht und den Arbeitgeber im Krankheitsfall sozialpolitisch in die Pflicht nimmt (vgl. MüKoBGB-Müller-Glöge, 9. Auflage 2023, § 3 EFZG Rn. 1; Preis/Mazurek/Schmid NZA 2020, 1137, 1140). Die Überführung des Sechs-Wochen-Zeitraums aus § 616 BGB in § 3 EFZG in den 90er-Jahren bedeutet gleichzeitig, dass für andere Fälle eines persönlichen Leistungshindernisses ein Heranziehen der sechs Wochen nicht mehr zulässig sein dürfte (so auch Balkau NJW 2023, 1768, 1772). Die vom OVG Münster in Bezug genommene Rechtsprechung des BGH (BGH 30.11.1978 – III ZR 43/77) erging zudem zeitlich noch vor Änderung des § 616 BGB. Die seinerzeitige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann daher nicht auf die heutige Trennung der Arbeitsunfähigkeit aufgrund Krankheit mit der Sechs-Wochen-Frist in § 3 EFZG und des als Ausnahmetatbestand konzipierten § 616 Satz 1 BGB übertragen werden.
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Die vorliegende, ausweislich der Begründung 14 Tage dauernde Quarantäneabsonderung der Klägerin überstieg damit die Erheblichkeitsschwelle von fünf Tagen. Zwar ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin wegen der zwischenzeitlichen Teilnahme an der Online-Schulung faktisch lediglich zehn Tage an der Arbeitsleistung gehindert war. Auch diese Dauer übersteigt – wie aufgezeigt – jedoch die Erheblichkeitsschwelle.
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cc) Selbst wenn die Erheblichkeit der Verhinderungsdauer unter Berücksichtigung der Dauer des Arbeitsverhältnisses zu bemessen sein sollte, ergäbe sich vorliegend nichts anderes.
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Zwar wird vertreten, dass bei langjährig Beschäftigten in Anlehnung an die Staffelung in § 622 Abs. 2 BGB im Einzelfall auch ein Zeitraum von 14 Tagen nicht erheblich sein kann (so ErfK-Preis, 23. Auflage 2023, § 616 BGB Rn. 10b am Ende). Vorliegend dauerte das Arbeitsverhältnis der Parteien zum Zeitpunkt der Quarantäneanordnung jedoch noch nicht einmal ein Jahr. Auch das vom Erstgericht zitierte Arbeitsgericht Iserlohn hatte in seiner Entscheidung vom 03.05.2022 (2 Ca 1848/21) bei einem zwei Jahre dauernden Arbeitsverhältnis und einer Quarantäneanordnung von 14 Tagen die Verhinderungsdauer vom 10.11.2021 bis zum 19.11.2021 (10 Tage) als erheblich angesehen.
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c) Da ein Anspruch der Klägerin wegen Erheblichkeit des Verhinderungszeitraums ausscheidet, konnte vorliegend dahinstehen, ob die Arbeitsvertragsparteien durch die Bezugnahme auf die Arbeitsvertragsbedingungen AVR des Arbeitgeberverbands in § 1 Abs. 2 des Arbeitsvertrages § 616 BGB wirksam abbedungen haben.
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Allerdings bestehen an einer wirksamen Abbedingung erhebliche Zweifel. Zwar ist § 616 grundsätzlich abdingbar, was sich aus § 619 BGB ergibt. Abweichende Regelungen können daher nicht nur von Tarifvertragsparteien, sondern auch von den Arbeitsvertragsparteien vorgesehen werden. Allerdings wäre vorliegend – da sowohl der Arbeitsvertrag als auch die in Bezug genommenen Allgemeinen Vertragsbedingungen vorgegeben waren – eine Einbeziehungs- und Inhaltskontrolle nach § 305 ff. BGB vorzunehmen. Jedenfalls eine umfassende voraussetzungslose Abbedingung sämtlicher Ansprüche aus § 616 BGB in allgemeinen Geschäftsbedingungen dürfte dem gesetzlichen Leitbild wiedersprechen und gegen § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB verstoßen (dazu ErfK-Preis, 23. Auflage 2023, § 616 BGB Rn. 13; ErfK-Preis aaO § 305 – 310 Rn. 82; m. w. N.).
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d) Dahinstehen konnte auch, ob ein Eigenverschulden der Klägerin in der nicht erfolgten Impfung trotz entsprechender Empfehlung zu sehen ist.
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Allerdings wären bei der diesbezüglichen Prüfung nicht nur Lageberichte des RKI zu einer etwaigen Impfstoffeffektivität im November 2021 und entsprechende Verfahrensweisen des Anträge nach § 56 IfSG bearbeitenden Landesverwaltungsamtes zu berücksichtigen. Vielmehr wäre in einer ex post Betrachtung auch zu beachten, dass nach heutigen Erkenntnissen eine Impfung auch bereits im November 2021 – noch vor Verbreitung der Omikronvariante – eine Infizierung mit dem Virus nicht effektiv verhindern konnte. Auch zur Kenntnis des Gerichts waren Impfdurchbrüche bereits im Herbst 2021 so häufig, dass von einer Kausalität der Nichtimpfung für eine Infizierung nicht ausgegangen werden kann. Wie die Klägerin anführt, sind auch der Bundestag und das Bundesministerium für Gesundheit zwischenzeitlich zu der Erkenntnis gelangt, dass eine Impfung die Ansteckung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht verhindern konnte, sondern allenfalls einen schweren Verlauf der Erkrankung.
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4. Ein Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte aus § 56 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 5 IfSG scheidet ebenfalls aus.
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a) Allerdings hindert die Sonderzuweisung von Streitigkeiten nach dem IfSG an die Verwaltungsgerichtsbarkeit in § 68 IfSG die erkennende Kammer nicht an einer Entscheidung (zum Verwaltungsrechtsweg in diesen Fällen LAG Düsseldorf 10.10.2022 – 3 Ta 278/22; LAG Baden-Württemberg 21.12.2022 – 19 Ta 13/22). Denn die Frage des richtigen Rechtswegs ist in der Rechtsmittelinstanz gemäß § 17 a Abs. 5 GVG nicht zu prüfen.
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b) Vielmehr hat die Kammer gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen. Nach Auffassung der Kammer ist der Zahlungsantrag der Klägerin wegen der eindeutigen gesetzlichen Anordnung in § 56 Abs. 5 Satz 1 IfSG auch als Anspruch auf Auszahlung gegen die Beklagte zu prüfen.
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Zwar werden Zweifel an einer Identität des Streitgegenstandes zwischen § 616 Satz 1 BGB und § 56 Abs. 1 und Abs. 5 IfSG mit Blick auf § 17 Abs. 2 GVG geäußert (vgl. LAG Baden-Württemberg 21.12.2022 – 19 Ta 13/22). Denn im Falle des § 616 BGB behält die Klägerin ihren Anspruch auf Vergütung, wohingegen der Arbeitgeber bei § 56 Abs. 5 IfSG lediglich als Zahlstelle für das zur Entschädigung verpflichtete Land auftritt. Gleichwohl ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin in beiden Fällen Zahlung von der Beklagten begehrt. Die Höhe der begehrten Zahlung steht fest. Und der Arbeitgeber ist nach dem eindeutigen Wortlaut des § 56 Abs. 5 IfSG zur (Aus)Zahlung verpflichtet. Das Begehren der Klägerin, vom Arbeitgeber die begehrte Zahlung zu erhalten, ist gleich. Ob die bloße Funktion als „Zahlstelle“ eine Passivlegitimation des Arbeitgebers begründet, ist nach Auffassung der erkennenden Kammer eine Frage der Begründetheit des Anspruchs, nicht jedoch eine solche des Streitgegenstands.
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c) Und zu dem (Hilfs)Verhältnis der beiden Anspruchsgrundlagen § 616 BGB und § 56 Abs. 1 Satz 1 IfSG musste die Klägerin nach Auffassung der Kammer keine Ausführungen machen, denn dies ist durch die gesetzgeberische Ausgestaltung der Entschädigungsnorm geklärt. Nur dann, wenn der Arbeitnehmer einen „Verdienstausfall“ erleidet, wenn also Ansprüche aus §§ 611a, 615, 616 BGB bzw. § 3 EfZG ausscheiden oder wirksam abbedungen sind, kommen Ansprüche aus § 56 IfSG in Betracht.
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d) Mit dem Landesarbeitsgericht Düsseldorf (vgl. Beschluss vom 10.10.2022 – 3 Ta 278/22) ist die erkennende Kammer jedoch der Auffassung, dass die Beklagte für einen Anspruch aus § 56 Abs. 1, Abs. 5 IfSG nicht passivlegitimiert ist. Sie ist nicht der richtige Anspruchsgegner für einen Anspruch aus § 56 Abs. 1 IfSG.
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In seinem vorzitierten Beschluss führt das Landesarbeitsgericht Düsseldorf aus, dass nach den klaren Regelungen des § 66 Abs. 1 IfSG in allen Fällen des § 56 IfSG alleine das jeweilige Bundesland passivlegitimiert ist. Der Arbeitgeber sei lediglich „Zahlstelle“ und zahle die Entschädigung gemäß § 56 Abs. 5 Satz 1 IfSG „für die zuständige Behörde“ aus. Als Zahlstelle sei der Arbeitgeber aber nicht selbst Zahlungsverpflichteter. Konsequenterweise könne sich auch die Forderung eines Arbeitnehmers auf Entschädigungszahlung nicht gegen ihn richten. Zu verklagen sei stets das Bundesland. Klage eine Arbeitnehmerin also fehlerhaft nicht gegen das Land, sondern gegen ihren Arbeitgeber die Entschädigung nach § 56 Abs. 1 Sätze 1, 2 IfSG ein, sei die Klage unbegründet mangels Passivlegitimation des Arbeitgebers.
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Dieser überzeugenden Argumentation, der sich auch das LAG Baden-Württemberg angeschlossen hat (Beschluss vom 21.12.2022 – 19 Ta 13/22), folgt auch die erkennende Kammer.
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e) Da ein Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte aus § 56 IfSG wegen fehlender Passivlegitimation ausscheidet, war nicht mehr zu prüfen, ob ein Anspruch inhaltlich deshalb ausscheidet, weil die Klägerin durch eine ihr zumutbare und zu dem Zeitpunkt empfohlene Schutzimpfung die Absonderung hätte verhindern können. Nach den obigen Ausführungen wäre im Wege einer ex post Betrachtung an diesem Punkt allerdings zu berücksichtigen, dass nach heutigen Erkenntnissen eine Schutzimpfung die Infektion selbst nicht hätte vermeiden können.
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5. Zu Recht hat das Erstgericht in Ermangelung entsprechenden Sachvortrags einen Anspruch aus Treu und Glauben abgelehnt. Hierzu ist in der Berufungsinstanz auch nichts weiter vorgetragen worden.
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III. Die Kosten des erfolglosen Berufungsverfahrens hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Klägerin zu tragen.
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IV. Die Revision war nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen. Nahezu sämtliche Fragen rund um die rechtliche Behandlung einer symptomlosen Infektion und einer darauf gestützten Quarantäne sind umstritten und bislang höchstrichterlich nicht geklärt.
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Dies gilt sowohl für die Frage, ob alleine die Infektion bereits Krankheitswert im Sinne von § 3 EfZG hat, als auch für nahezu alle sich im Zusammenhang mit § 616 BGB stellenden Fragen, insbesondere dazu, ob eine über fünf Tage hinausgehende Quarantäneanordnung einen erheblichen Zeitraum darstellt. Diese Fragen sind vorliegend auch entscheidungserheblich, da bei Annahme einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit ein Anspruch aus § 3 EFZG in Betracht kommt. Und auch dann, wenn § 616 Satz 1 BGB wegen Bejahung eines unerheblichen Zeitraums eröffnet wäre, käme ein Anspruch der Klägerin in Betracht. Denn nach Auffassung der Kammer könnte die fehlende Schutzimpfung einem Zahlungsanspruch der Klägerin nach einer ex post Betrachtung nicht entgegengehalten werden.
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Zuletzt ist auch die Frage der Passivlegitimation des Arbeitgebers bei Ansprüchen aus § 56 IfSG bislang höchstrichterlich ungeklärt. Diese Frage dürfte in den meisten Fällen wegen der Rechtswegzuweisung in § 68 IfSG zwar bei den Verwaltungsgerichten anfallen. Und im Falle der Bejahung eines Anspruchs aus § 3 EFZG oder aus § 616 BGB würde ein Anspruch aus § 56 Abs. 1 IfSG mangels Verdienstausfalls ohnehin ausscheiden. Gleichwohl hat die Frage der Passivlegitimation wegen § 17 Abs. 2 GVG auch für die Arbeitsgerichte Relevanz.